13.06.2025
Agiles Projektmanagement

Ist agiles Projektmanagement tot? Nein – es sei denn, Teams verfallen der „Definition of Doom“

Immer öfter hört man, agiles Projektmanagement stecke in einer tiefen Krise. Mehr noch: dass es „tot“ sei. Doch nicht Agilität selbst ist gescheitert, sondern ihre Umsetzung in vielen Unternehmen und Organisationen. Denn oft dominieren starre Prozesse, leere Rituale und das reine Abarbeiten von Checklisten den vermeintlich agilen Projektalltag – und genau dann ist die „Definition of Doom“ erfüllt. Folge: Projekte verfehlen ihre Ziele bzw. scheitern auf breiter Front. Dieser Beitrag nennt die Ursachen dafür und zeigt, mit welchen Gegenmaßnahmen sich Agilität vitalisieren lässt.

Definition of Doom: Sandfarbener Text auf schwarzem Hintergrund

In diesem Artikel behandelte Themen

  • Zwischen Schein und Substanz: Wie Agilität zur Selbsttäuschung wird
  • Kritik richtet sich nicht gegen die agilen Prinzipien
  • Kluft zwischen Struktur und Kultur mündet in Frust
  • Definition of Doom: So verkommt Agilität zur bloßen Show
  • Was tun gegen „Dodoom“? Einige praxisbewährte Gegenmittel
  • Fazit: Agilität beginnt im Kopf, nicht im Prozess

Ziel des Beitrags: Entscheider, Projektverantwortliche und Stakeholder erfahren, warum agiles Projektmanagement in vielen Unternehmen scheitert – und wie es sich retten lässt.

Zwischen Schein und Substanz: Wie Agilität zur Selbsttäuschung wird

SEO, E-Mail-Marketing, Social Media – all das wurde bereits für tot erklärt und ist doch lebendiger denn je. Selbst das Internet galt einst als kurzlebiger Hype. So schrieb der US-amerikanische Autor Clifford Stoll 1995 in seinem vielbeachteten Artikel „The Internet? Bah! – Hype alert: Why cyberspace isn’t, and will never be, nirvana“ im Nachrichtenmagazin Newsweek: „Keine Online-Datenbank wird Ihre Tageszeitung ersetzen, kein Computernetzwerk die Arbeitsweise der Regierung verändern.“ Heute liest sich dies wie ein Mahnmal für Fehleinschätzungen in Zeiten des Umbruchs.

Nun also das agile Projektmanagement – auch ihm wird immer häufiger lautstark das nahende Ende vorhergesagt. Doch nicht jede dieser Prognosen ist bloßer Clickbait. Vielmehr mehren sich prominente Stimmen, die fundierte Kritik am Zustand der Agilität üben. Darunter Steve Denning, Management-Vordenker und Autor des Bestsellers „The Age of Agile“. Er und andere beobachten eine zunehmende Verflachung der agilen Praxis: Unternehmen übernehmen Frameworks wie Scrum oder Kanban lediglich als inhaltsleere Prozesshüllen, wodurch die dahinterliegende Haltung auf der Strecke bleibt. Und Jürgen Appelo, Software-Unternehmer und Autor von „Management 3.0“, geht noch einen Schritt weiter und zieht Parallelen zur Religion: Agilität sei vielerorts zu einer dogmatischen Bewegung geworden, in der starre Regeln über pragmatische Lösungen gestellt würden.

Am deutlichsten formuliert es Michael O. Church, Silicon-Valley-Entwickler und Tech-Kritiker: Aus seiner Sicht ist Agilität meist nicht mehr als ein Feigenblatt für Planlosigkeit – und ein System, das Entwickler in endlosen Sprints ausbrennen lässt.

Aus diesen Gründen kann agiles Projektmanagement viel zu selten sein Hauptversprechen einlösen: mehr Projekte erfolgreich ins Ziel zu bringen als auf traditionellem Wege. Denn wer Agilität lediglich als Methode begreift, verfehlt ihren Kern und steuert genau auf das zu, was man in Anlehnung an die „Definition of Done“ augenzwinkernd als „Definition of Doom“ bezeichnen könnte.

Kritik richtet sich nicht gegen die agilen Prinzipien

Seit rund 20 Jahren prägt die agile Bewegung das Projektverständnis in Unternehmen. Das Agile Manifesto von 2001 markierte einen Paradigmenwechsel: weg von starren Plänen, hin zu iterativer Entwicklung, Kundenfokus und selbstorganisierten Teams. Was als Kulturwandel begann, wurde überwiegend begeistert aufgenommen – doch von dieser Aufbruchsstimmung ist nur wenig übrig.

Ein Beitrag in Informatik Aktuell von 2024 bringt es auf den Punkt: „Wer heute mit Entwicklern spricht, hört oft Ernüchterung: Daily Stand-ups, Retrospektiven und Backlog Refinements werden als zusätzliche Belastung empfunden, als Routine ohne echten Mehrwert.“ Die Zahlen bestätigen das: 72 Prozent der Teams empfinden Scrum-Events als bürokratische Pflicht, nicht als Werttreiber. Aus einem Werkzeug für Flexibilität ist ein neues Korsett geworden.

Indes, die Kritik richtet sich nicht gegen die agilen Prinzipien an sich, sondern gegen ihre allzu mechanische Umsetzung. Viele Teams stecken in einem starren Prozess fest, der kaum Raum für echte Selbstorganisation oder kreative Lösungen lässt. Stand-ups verkümmern zu Statusrunden, Retrospektiven zu Pflichtübungen.

Ken Schwaber, Mitbegründer von Scrum, sieht es wie folgt: „Scrum ist wie deine Schwiegermutter – es weist dich auf alle deine Fehler hin.“ 

Kluft zwischen Struktur und Kultur mündet in Frust

Agile Projekte scheitern also daran, wie Agilität in Unternehmen gelebt wird. In vielen Organisationen fehlt nicht das Framework, sondern die Haltung dahinter. Statt echter Agilität entstehen dann Prozessattrappen: sorgfältig eingehaltene Meetings ohne Substanz, Routinen ohne Wirkung. Der Fokus verschiebt sich von Kundenmehrwert zu Regelbefolgung.

Ein zentrales Problem liegt in der Kluft zwischen Struktur und Kultur. Agilität fordert eine Unternehmenskultur, die auf Vertrauen, Eigenverantwortung und kontinuierliches Lernen setzt. Doch viele Unternehmen betreiben digitale Transformation vor allem technisch – ohne kulturellen Wandel. Alte Steuerungslogiken bleiben erhalten, Entscheidungsfreiheit wird proklamiert, aber nicht gelebt.

Diese Diskrepanz führt zu Frustration in den Teams. Wer Agilität nur oberflächlich adaptiert, ohne Machtstrukturen, Kommunikationswege und Führungsverhalten zu verändern, erzeugt nicht Beweglichkeit, sondern Stillstand im neuen Gewand. Der Kulturwandel bleibt aus. Und mit ihm der eigentliche Nutzen agiler Arbeitsweisen.

Kurzum, was bisweilen als „Ende des agilen Projektmanagements“ diskutiert wird, ist in Wahrheit das Scheitern (bzw. der Unwillen oder die Unfähigkeit), Unternehmenskultur und digitale Transformation konsequent zu denken und mit Leben zu füllen. Denn Agilität ist kein Projekt – sie ist ein strategischer Ansatz. Wer das versteht, verfügt über einen äußerst hilfreichen Hebel für echte Veränderung.

Definition of Doom: So verkommt Agilität zur bloßen Show

Mit der satirisch zugespitzten „Definition of Doom“ halten wir Unternehmen den Spiegel vor: Anhand von zehn typischen Symptomen zeigt diese, wie gut gemeinte agile Ambitionen regelmäßig selbst sabotiert werden. Die „Dodoom“ macht deutlich: Man kann sämtliche Rituale perfekt abspulen – und trotzdem grandios am eigentlichen Ziel vorbeischlittern. So wird Agilität zur bloßen Show ohne echten Mehrwert, ohne Lernkurve und ohne nachhaltige Wirkung.

Hier die zehn häufigsten Symptome für agiles Scheitern:

1. Agilität als Modewort statt als Haltung
Scrum wird eingeführt, weil es State of the Art ist. Doch die Werte dahinter – Transparenz, Mut, Selbstverantwortung – bleiben außen vor. Das Ergebnis: Prozess statt Purpose.

2. Anforderungen? Fehlanzeige.
User Stories sind lückenhaft oder widersprüchlich. Das Team entwickelt ins Blaue, ohne zu wissen, was wirklich gebraucht wird. Klarheit fehlt – und damit der Fokus.

3. Die „Definition of Done“ wird zum Overkill
Statt Klarheit zu schaffen, wird die „Definition of Done“ zum bürokratischen Endgegner. Die eigentliche Frage – „Erzeugt das Produkt echten Wert?“ – geht unter in Admin-Kleinklein.

4. Regeln nach Wetterlage
Prozesse gelten nur, solange sie bequem sind. Wenn‘s schwierig wird, wird improvisiert. Das untergräbt jede dauerhafte Verbesserung.

5. Null Autonomie
Teams dürfen „sich selbst organisieren“, brauchen aber für jeden Schritt grünes Licht vom Management. Verantwortung ohne Entscheidungsmacht ist nur Theater.

6. Feedback kommt zu spät – oder gar nicht
Der Kunde sieht das Produkt erst kurz vor dem Launch. Kein Lernen, kein Justieren, kein Fortschritt. Die Schleife ist zu lang.

7. Retros ohne Konsequenz
Rückblick? Ja. Erkenntnisse? Vielleicht. Veränderungen? Fehlanzeige. Ohne echte Umsetzung wird aus Lernen bloßes Lamentieren.

8. DevOps nur als Buzzword
CI/CD steht auf dem Poster – aber Releases dauern Wochen. Automatisierung ist Wunsch, kein Werkzeug. Die technische Basis fehlt.

9. Feature-Feuerwerk statt Wertfokus
Das Backlog wächst, aber keiner weiß, welche Features wirklich zählen. Der Unterschied zwischen „viel liefern“ und „das Richtige liefern“ wird ignoriert.

10. Teams ohne Struktur, Kommunikation ohne Klarheit
Fehlende Rollen, Silodenken und Missverständnisse sorgen für Reibung und Frust. Agile Zusammenarbeit funktioniert nicht ohne funktionierende Kommunikation.

Was tun gegen „Dodoom“? Einige praxisbewährte Gegenmittel

Klar ist damit: Agilität scheitert im Projektalltag an falschen Annahmen und fehlender Konsequenz. Wer die typischen Fallstricke kennt, kann aber gezielt gegensteuern – mit Haltung, Struktur und klarem Kundenfokus. Hier einige wertvolle Tipps:

Werte verankern statt nur plakatieren

  • Agile Prinzipien in konkrete Team-Verhaltensregeln übersetzen („Wir testen pro Sprint mindestens eine neue Idee“ statt „Wir sind innovativ“).
  • Werte-Workshops durchführen, um Haltung ins tägliche Tun zu überführen.

Anforderungen nicht verwalten, sondern managen

  • Per Requirements Engineering Kundenanforderungen früh, konkret und iterativ mit echten Nutzern erarbeiten und stetig neu anpassen.
  • User Stories regelmäßig verfeinern, priorisieren und mit klaren Akzeptanzkriterien versehen.
  • Stakeholder aktiv in die Anforderungsdefinition einbinden – kein Produkt ohne Problemverständnis.

Autonomie ermöglichen – mit klaren Entscheidungsräumen

  • Klare Budget- oder Entscheidungsspielräume für Teams festlegen (z.B. bis 10.000 € pro Tag ohne Rücksprache).
  • Verantwortung dort ansiedeln, wo die Kompetenz sitzt – nicht im Management, sondern im Team.

Kundennutzen messbar machen

  • Features nach Wirkung statt Aufwand priorisieren – z. B. mit WSJF (Weighted Shortest Job First).
  • Regelmäßiges Nutzerfeedback einplanen – spätestens alle zwei Sprints.
  • A/B-Tests, Interviews und Usage-Tracking als feste Bestandteile im Entwicklungsprozess etablieren.

Retrospektiven mit Wirkung statt Wiederholung

  • Maßnahmen aus Retros festhalten, sichtbar machen und im nächsten Sprint reviewen.
  • 15 Prozent der Sprintkapazität als feste Experimentierzeit reservieren.
  • Team-Coaching nutzen, um Reflexion in Handlung zu übersetzen.

Technik lebt, wenn sie liefert

  • DevOps nicht nur ankündigen, sondern umsetzen: automatisierte Tests, CI/CD-Pipelines, tägliche Deployments.
  • Tooling gezielt auf Geschwindigkeit und Feedback ausrichten.

Kommunikation und Struktur bewusst gestalten

  • Rollen, Verantwortlichkeiten und Informationsflüsse klären – idealerweise visuell.
  • Silos abbauen durch gemeinsame Sprint-Ziele, transparente Roadmaps und synchronisierte Reviews.

Fazit: Agilität beginnt im Kopf, nicht im Prozess

Agilität ist keine Methode – sie ist eine Haltung. Genau darin liegt der Unterschied zwischen Veränderung und Etikettenschwindel. Wer Scrum oder Kanban nur als neues Projektmanagement-Tool einsetzt, ohne die zugrunde liegenden Prinzipien zu leben, betreibt „agile Kosmetik“. Zumal echte Agilität bedeutet: Vertrauen statt Kontrolle, Klarheit statt Mikromanagement, Wirkung statt Beschäftigung. Führung bedeutet nicht mehr zu dirigieren, sondern Räume zu schaffen – für Selbstverantwortung, Lernen und echten Kundenfokus.

Agilität ist kein erreichbarer Zustand. Vielmehr ist sie ein ständiger Prozess der Anpassung. Insofern geht es hier nicht um Regelgläubigkeit, sondern um die Fähigkeit, sinnvoll und schnell auf externe Veränderungen reagieren zu können – dies insbesondere in den immer dynamischeren Märkten.

Doch genau hier scheitern viele Organisationen – und erfüllen Schritt für Schritt die „Definition of Doom“: Sie folgen zwar jedem agilen Ritual, verlieren aber Haltung, Wirkung und Klarheit aus den Augen. Meetings laufen nach Plan, aber ohne wirkliche Substanz. Prozesse werden akribisch verfolgt, aber das Warum bleibt auf der Strecke.

Der nötige Kulturwandel ist dabei keine Kür. Nur wenn Teams echte Freiräume nutzen, Fehler als Lernchance gelten und Kommunikation auf Augenhöhe stattfindet, kann agiles Projektmanagement wirken. Eine Totgeburt ist Agilität nur dann, wenn sie als knöcherne Pflichtübung verstanden wird.

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Über den Autor

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Jan Entzminger ist Gründer und Geschäftsführer der Südpfälzer blindwerk - neue medien GmbH. Seit über 20 Jahren arbeitet er professionell mit dem Medium Internet. Nach seiner Ausbildung zum Online-Entwickler arbeitete er zunächst in verschiedenen Agenturen im Bereich Projektleitung und Entwicklung. 2001 hat er sich mit seiner eigenen Digital-Agentur selbständig gemacht und berät über 200 sowohl mittelständische als auch große, international tätige Unternehmen in allen Fragen zur Realisierung komplexer Digitalprojekte.

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